75 Jahre

Förderung und Engagement

«Als ich 1990, also vor genau 35 Jahren, Ihren Preis erhielt, hatte ich nicht nur nicht damit gerechnet, ich habe mich auch gefreut, nicht zuletzt über das Geld, das ich damals nötiger brauchte als ich es heute bräuchte (….) Wichtig war aber auch die Genugtuung, das heisst: zu wissen, dass von unbekannter Seite bemerkt wurde, was ich tat, zu wissen, dass ich es nicht in den leeren Raum hinaustat, sondern ganz offensichtlich für zugegeben noch wenige Leser, die nur mehr werden konnten. Zu meiner großen Genugtuung.»

Alain Claude Sulzer

Alain Claude Sulzer – Genugtuung

Es ist so eine Sache mit den Kunst-, Kultur- und insbesondere Literaturpreisen, von denen ich am ehesten eine Ahnung habe. Die einen kriegt man, die anderen kriegt man nicht, die einen sind hoch dotiert, die anderen weniger hoch dotiert, bei den dritten geht man leer aus – in Frankreich etwa sind Preise grundsätzlich nicht dotiert oder wenn dann bestenfalls mit einem symbolischen Betrag –, die einen sind renommiert (mit mehr oder weniger Geld) oder blühen eher im Verborgenen. Man hofft, die einen zu bekommen, man hat nicht damit gerechnet, ausgerechnet die anderen zu bekommen – kurzum, alles ist möglich, oder auch nichts. Die für nicht wenige wohl besten zwei Lösungen wären entweder, es gäbe gar keine Preise oder man bekäme alle, aber beides ist nun mal nicht möglich. Im Übrigen gibt es Autoren, die tatsächliche so gut wie alle Preise bekommen, die im Kunstbetrieb was gelten, und es gibt die, die so gut wie keine bekommen und sich irgendwann resigniert sagen müssen, dass sie sie gar nicht brauchen. Jedenfalls sagen sie das, solange jemand zuhört, im stillen Kämmerlein klingt es meist etwas anders.

Ich gehöre zur Kategorie der Mauerblümchen unter den Preisempfängern, das heißt: Höchstens alle zehn Jahre einer, so in etwa, übrigens auch dieses Jahr, aber welcher es ist, darf ich Ihnen noch nicht verraten. Früher übrigens bekam ich den einen oder anderen Preis deshalb nicht, weil mich manche, offenbar die einflussreichen Juroren allen Ernstes für einen Spross aus einer reichen Winterthurer Industriellenfamilie hielten, der es darum nicht nötig hatte, finanziell unterstützt zu werden. Das hat mir tatsächlich mal einer ins Gesicht gesagt. Das hatte ich übrigens, wenn auch sonst nichts, mit Hugo von Hofmannsthal gemeinsam, der sich auch ein Leben lang vergeblich dagegen verwahrt hat, ein junger und dann allmählich älter werdender Sohn aus reichem Haus zu sein, was er durchaus nicht wahr.

Dieser raue und etwas missgünstige Wind wehte mir allerdings nicht entgegen, als sich die Herren des Basler Lions Club 1990 entschieden, mir ihren Kulturpreis zu überreichen. Was Familiennamen angeht, müsste ich heutzutage wohl eher Wechselberg heißen, um als preiswürdiger Kandidat nicht in Frage zu kommen. Inzwischen werde ich tatsächlich seltener gefragt, ob ich mit den Winterthurern verwandt sei.

Ihr Kulturpreis gehört zur Art jener Preise, die im Verborgenen blühen. Zu Unrecht, wie ich finde. Wenn man ihn googelt, bleibt er unauffindbar. Aber vielleicht geschieht das ja mit Absicht. Vielleicht zeugt das von Baslerischer Bescheidenheit. Aber ist den Künstlern damit gedient? Mit Bescheidenheit kommt man in der Kunst bekanntlich nicht sehr weit. Vielleicht erklären Sie mir nachher beim Essen, warum das so ist.  Weil es so ist, konnte ich auch nicht nachschauen, wer diesen Preis vor und nach mir bekommen hat. Aber da sich niemand für diesen Preis schämen muss und sich hoffentlich auch der Lions Club für niemanden schämt, dem er ihn verliehen hat, wünsche ich ihm gern etwas mehr Publicity, bitte!

Nun, was bedeuten Preise wie dieser? Mal abgesehen vom Geld, das sich über kurz oder lang in Luft aufgelöst hat – außer es ist so viel, dass man sich dafür ein Haus oder eine Wohnung kaufen kann, dafür müsste es allerdings schon der Nobelpreis sein – mal abgesehen vom Geld also bereiten einem solche Preise, weil sie Auszeichnungen sind, vor allem eines: Genugtuung.

Ein Wort, das mir nicht zuletzt deshalb gefällt, weil sich einem die ganze Bedeutung des Begriffs nicht auf Anhieb erschliesst. Das etwas altmodische Genugtuung lässt man sich gern auf der Zunge zergehen. Insbesondere die Tuung, die als solche weder im Wörterbuch noch im gesprochenen Vokabular existiert. Tuung, losgelöst von seiner anderen Worthälfte betrachtet, klingt ja eher asiatisch als Deutsch, aber sie ist Deutsch. Es gibt meines Wissens kein anderes Wort, in dem diese Endung auftaucht. Ganz anders als das simple ung, das es in Hunderten von Variation gibt.

Der Duden hat für die Genugtuung zwei Erklärungen. Erklärung Nr 1: «Innere Befriedigung»; Erklärung Nr. 2 «Entschädigung für ein zugefügtes Unrecht; Wiedergutmachung.» Sie erinnert also an die französische bzw. englische satisfaction und führt uns insofern auch schnell auf das Feld der Ehrenrettung, denn Satisfaktion oder eben Genugtuung ist, was der Ehrenmann von dem fordert, der seine Ehre herausforderte. Beim Duellieren forderte man Satisfaktion für die angegriffene Ehre. Wer darauf einging, und der Ehrenmann tat das natürlich, stellte seine Ehre wieder her, indem er Genugtuung erhielt. – Um verlorene und wiederhergestellte Ehre geht es bei Kulturpreisträgern aber eher nicht, um eine Entschädigung für empfindliche Nichtbeachtung hingegen kann es schon gehen.

Genugtuung bedeutet für den, der sie erhält, und sich bislang vielleicht für ungenügend geschätzt erachtete, wohl auch, dass er nun genug dafür getan hat, um endlich in den Genuss der Genugtuung zu kommen – wobei mehr als nur ein gutes Wort immer besser ist als als nur ein gutes Wort. In Form eines Preises zum Beispiel, der ihn dafür entschädigt, dass andere ihn nicht so schätzen, wie er geschätzt werden möchte.

Als ich 1990, also vor genau 35 Jahren, Ihren Preis erhielt, hatte ich nicht nur nicht damit gerechnet, ich habe mich auch gefreut, nicht zuletzt über das Geld, das ich damals nötiger brauchte als ich es heute bräuchte; Geld und Anerkennung haben heute, wo sie sich einigermassen befriedigend eingestellt haben, etwas an Bedeutung verloren, aber ich will beide nicht kleinreden. Die 5000 Franken, die ich damals erhielt und die heute vermutlich einem Wert von 10’000 entsprechen, waren mir damals mit Anfang Dreissig eine Menge wert. Wichtig war aber auch die Genugtuung, das heisst: zu wissen, dass von unbekannter Seite bemerkt wurde, was ich tat, zu wissen, dass ich es nicht in den leeren Raum hinaustat, sondern ganz offensichtlich für zugegeben noch wenige Leser, die nur mehr werden konnten. Zu meiner großen Genugtuung.